Die Thomaner zu Besuch beim Stadtsingechor zu Halle

Am Samstag war der Thomanerchor zu Ehren des 900jährigen Jubiläums des Stadtsingechores zu Gast in der Marktkirche.

Schnell konnte der Eindruck entstehen, der gestandene Thomanerchor nahm mit Leichtigkeit das musikalische Zepter in die Hand. So war es sicher auch gedacht, denn gleich erging es dem Stadtsingechor zur Vesper in der Kreuzkirche in Dresden Anfang des Jahres und ebenso wird es nächsten Monat bei den beiden Motetten in Leipzig zu erleben sein. Dem Gast gebührt nun mal das Vorrecht.

Dass dieser Eindruck dennoch etwas trügerisch war, lag zwar an nur kleinen Details, aber diese drangen jedoch ungewollt ins Unterbewusstsein eines jeden Besuchers und setzten dort Akzente. Als die Tore öffneten, präsentierten sich die Thomaner professionell bereits mit ihren CDs, während die engagierten Damen unseres Fördervereins (von nur wenigen vermisst) noch in der Besuchermenge harren mussten. Nachdem sie dann endlich (auf einem wenig repräsentativen) Tisch die Artikel unseres Chores anpreisen konnten, befanden sich bereits 2/3 der Besucher in der Kirche und waren nur noch mit der Suche nach vorderen Plätzen beschäftigt.

Ganz anders erging es den Programmen, welche sich schon frühzeitig erschöpften.

Unterstützt wurde der Thomanerchor dann von einem Continuo (Kontrabass und einer seitlich stehenden Orgel). Dadurch erhielt der Chor eine unauffällige, aber sehr wirksame klangliche wie auch intonatorisch sichernde Unterstützung. Dass das gestandene Repertoire der Leipziger dann bravourös (in z.T. etwas legerer Anzugsordnung) dargeboten wurde, durfte somit durchaus erwartet werden.
Hingegen vermochte der Stadtsingechor (zunächst in den hinteren Reihen sitzend) mit dem Jubiläumswerk »Selig seid ihr« von Wolfram Buchenberg zwar musikalische und harmonische Akzente zu setzen, welche jedoch klanglich leider (gerade für die vorderen Thomaneranhänger) aufgrund der räumlichen Entfernung verpufften. Davon, dass aber gerade dieses Werk vom Chor absolut überzeugend intoniert wird, hätte man sich bereits beim mittäglichen Konzert im Dom zu Merseburg überzeugen können. Wollten aber nur wenige.

Auch dem auf der Orgelempore folgenden »Nun sich der Tag geendet hat« des Stadtsingechores fehlte es etwas an Durchsetzungsvermögen. So verwundert es also nicht, nach dem Ende der Motette Stimmen zu hören wie: »Die Thomaner waren Spitze. Der Stadtsingechor, naja.« Die (vermutlich musikalischen) Laien hatten also gar keine Chance, sich ein reales Bild zu verschaffen.

Daran konnte dann auch das gemeinsame versöhnliche Finale nichts mehr ändern, obwohl sich genau hier offenbarte, beide Chöre bewegen sich qualitativ absolut auf Augenhöhe.

Möglicherweise habe aber auch nur ich selbst einen verklärten Blick. An der prallen Collecte (der nur spärlichen Ausgänge) war jedenfalls vielleicht doch klingendes Wohlwollen der Hallenser für ihren Chor zu vernehmen.

Sebastian Brandt

2 Antworten

  1. Sebastian Brandt sagt:

    Hallo Frau Schelze-Görke,

    ich persönlich hatte und habe ebenfalls keine Veranlassung, die beiden Chöre zu vergleichen.

    Dennoch erging es mir so, dass ich vor der Aufnahme unseres Sohnes in den Stadtsingechor diesen (selbst als Hallenser) kaum wahrgenommen hatte. Während man um die Thomaner und Kruzianer mit Sicherheit wusste, fehlte eine Identifikation mit dem heimischen Chor fast völlig. Ich fragte mich in den letzten 3 Jahren immer wieder, warum das so ist und erhielt am Samstag nun unaufgefordert einige Antworten.

    Davon, dass ich aktiv mit vielen anderen den Förderverein, das (neue) Management sowie das Image unseres Chores weiter zu stärken suche, zeugt sicher nicht nur diese neue Webseite ;-?

    Viele Grüße

  2. Marion Schelze-Görke sagt:

    Sehr geehrter Herr Brandt,

    ich möchte heute zu Ihrem Schreiben zum Besuch der Thomaner in Halle wie folgt Stellung nehmen:

    Ihr Bericht hat mich sehr traurig gemacht. Sie schreiben, der Besuch der Thomaner sei ein Geschenk anlässlich des 900.Geburtstages des Stadtsingechores gewesen. So habe ich, so haben es viele, auch empfunden. Die Motette war eine wunderschöne, wenn auch vielleicht etwas eigenwillige Interpretation , Geschmäcker sind ja verschieden, des bekannten Bachschen Werkes.

    Es ging meiner Meinung nach in keinster Weise darum, den Thomanern „einen Vortritt zu lassen“.
    Dass der Stadtsingechor seinen Beitrag zur Motette mit einem sehr modernen, sicherlich von manchen Menschen unverstandenen Werk, geleistet hat, finde ich sehr mutig. Jeder, der sich mit modernerer Musik beschäftigt, weiss, wie schwer diese zu interpretieren ist – und ich finde, das haben die Jungs mit Bravour gemeistert.Nicht so „la la“ wie Sie es angeben.
    In Ihrem Bericht stört mich die unterschwellig immer wieder aufkommende ,neidvolle Vergleichung zweier Chöre, um die es m.E. nicht gehen sollte.
    ich denke darum ging es in keinster Weise bei dieser Veranstaltung – es war einfach eine wunderschöne, stimmungsvolle Motette, ein Geschenk von und für alle Beteiligten.
    Ich finde es nicht sinnvoll, eine vielleicht ja auch in Zukunft aufzubauende Zusammenarbeit beider Chöre zu belasten.

    Marion Schelze-Görke.

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